Passiv-Haus
Entire-Bürogebäude

Bauherr: Entire Software AG, Messerschmittstraße 45, 89231 Ulm, www.entire.de
Standort: Science Park II, Ulm
Planer: oehler + arch kom architekten ingenieure, Melanchthon 5, 75015 Bretten
info@archkom.de   www.archkom.de
Haustechnik u. Bauphysik: ebök, Ingenieurbüro für Energieberatung, Tübingen
Baujahr: 2002

Grosse Passivhäuser

In Ulm entsteht das weltweit grösste Bürogebäude im Passivhaus-Standard und ermöglicht eine ganze Reihe von Erfahrungen und Möglichkeiten mit diesem neuen Typ eines grossen Passivhauses.
Als Kopfgebäude von einer Reihe neuer Bürogebäude entsteht ein 5 geschossiges Bürogebäude, das Platz für bis zu 420 Mitarbeiter bietet. Der Einzugstermin ist für Anfang 2003 geplant. Der Neubau für die Entire Software AG entsteht in direkter Nachbarschaft zu Universität, Daimler-Chrysler und Nokia im Science Park II, einem speziell für Forschung und Entwicklung reservierten Bereich. Daneben befindet sich das Ulmer Expo Gelände mit der Passivhaus-Wohnsiedlung Am Eselsberg. Ulm profiliert sich durch seine gezielte Politik immer mehr zum Vorreiter für zukunftsweisendes und umweltgerech-
tes Bauen.
Die Kompaktheit dieses Bürogebäudes ist um ein Viel-
faches höher als bei einem freistehenden Einfamilien-
haus, so dass sich ganz neue Freiheiten und technische Lösungsmöglichkeiten für grosse Passivhäuser ergeben. Beispielsweise spielt die Orientierung dieses wankelför-
migen Gebäudes eine untergeordnete Rolle, man könnte es drehen wie man wollte. Obwohl das Atriumdach nur mit einer Zweifach-Wärmeschutzverglasung gedeckt ist, das sind immerhin 300 m2 mit einem für Passivhäuser viel zu schlechten u-Wert, lässt sich das gewünschte Klima und der Passivhaus-Standard immer noch errei-
chen. Es gibt an grossen Passivhäusern viel mehr Kom-
pensationsmöglichkeiten, so dass der Spielraum bei der Planung letztendlich grösser wird.

Keine Ganzglasarchitektur

Ganzglasarchitektur oder eine modische Doppelfassa-
de sind aus energetischen und ergonomischen Grün-
den von Anfang an ausgeschieden. Eine Ganzglashülle würde mit dem derzeit verfügbaren Glas keinen Passiv-
haus-Standard erreichen. In einer Winternacht geht durch die Verglasung 7 mal so viel Wärme verloren wie durch die Wand und an einem Sommertag kommt zu dem 7 fach grösseren Wärmedurchgang durch das Glas auch noch der beträchtliche solare Gewinn hinzu, der das Gebäude aufheizen würde. Zu grosse Glas-
flächen müssten mit Verschattung und Absturzsiche-
rungen wieder verdeckt werden, damit das Arbeiten hinter einer solchen Glaswand überhaupt erst möglich wird. Grosse Glasanteile erfordern einen enormen Auf-
wand an Klimatisierung und Verschattung, der sich problemlos vermeiden liesse. Hinter einer Glashülle können schnell 40° bis 50° C entstehen, wenn man sie nicht mit aller Macht bekämpft. Man muss sich die Frage stellen, ob das 80 Jahre alte Mies-van-der-Rohe-
Ideal eines gläsernen Hochhauses nicht eine allzu idealistische aber völlig untaugliche Architekturidee darstellt. Sie ist beispielsweise mit der Bibliotheque National in Paris dramatisch ad absurdum geführt wor-
den. Vier winkelförmige Ganzglas-Hochhäuser beher-
bergen einen Teil der Büchersammlung. Damit das Ge-
bäude überhaupt funktionstauglich wird, hat man ein Meter hinter der Glasfassade eine zweite Wand aus Holzlamellen-Wänden aufgebaut, um Bücher und Mit-
arbeiter vor Sonne und UV-Strahlung zu schützen. Der Verlust an Nutzfläche ist beträchtlich und der Ausblick ist gleich Null. 

Deswegen hat das Passivhaus-Bürogebäude in Ulm eine Fassade mit einem abgestimmten Verglasungs-
anteil, aussenliegendem Sonnenschutz und 100 % Ausblickmöglichkeit. Solar Architektur bedeutet nicht einfach Maximierung sondern intelligenter Umgang mit der Resource Sonnenlicht.

Die Lage

Der Wankel wird von drei gleichen, räumlich gekrümm-
ten Fassaden gebildet. Vorgefertigte Holzelemente werden vor die Stahl-Beton-Skelett-Konstruktion ge-
hängt. Der wetterfeste  Rohbau konnte durch den ho-
hen Wiederholungs- und Vorfertigungsgrad sehr schnell und sehr wirtschaftlich hergestellt werden. Eine äus-
sere, filigrane Hülle vor der Fassade wird durch auskra-
gende Wartungsstege aus dünnen Stahlprofilen gebil-
det, die sich vor der glatten, kalottenförmigen Oberflä-
che grafisch fein abzeichnen. Das Gebäude ist tief in den Hang hineingeschoben, so dass die Vorfahrt ein Geschoss über dem sogenannten Gartengeschoss ebenerdig in das Gebäude leitet. 
Eingebettet in einer Parklandschaft aus Wasserbek-
ken, Regenwasserteich, Versickerungsflächen, Ter-
rassen, Stegen, Böschungen und Geländestufen bieten sich dem Mitarbeiter vielfältige Ausblicke und direkte Zugänge vom Kasino und den Seminarräumen über den Teich auf die Terrassen an. Kernstück der Gartenan-
lage ist ein grosser naturnaher Regenwasserteich, der das Wasser zu 100 % in einer Retensionsfläche ver-
sickern oder verdunsten lässt. Zusätzlich wird dieses Wasser zur Gartenbewässerung verwendet.

Das Innenleben

Alle Bereiche auf den fünf Stockwerken im Innern sind konzentrisch um das Atrium angeordnet und haben vielfältige Verbindungen zu diesem zentralen Raum. Die sterile Atmosphäre eines Versicherungskonzerns mit viel Glas und Marmor, aber wenig Menschen war uns ein abschreckendes Beispiel. Es war möglich, durch eine gezielte Abstimmung von Brandschutzkonzept und Klimakonzept, sämtliche Forderungen zur Abschottung der Büroräume gegen das Atrium auszuräumen. Jedes Bürofenster kann in das Atrium hinein geöffnet werden, über die Brücken, Aufzüge und die Spindeltreppe ge-
langt man ohne Schleusen oder Glasabtrennungen in diesen Luftraum und immer wieder werden Öffnungen auf den verschiednen Ebenen angeboten. Damit konn-
ten wir unserem Ziel näher kommen, eine Piazza ent-
stehen zu lassen, die als allgemeiner Treffpunkt für Mit-
arbeiter und Gäste eine einladende Atmosphäre für Information und Gedankenaustausch bietet. Auf diesem Marktplatz soll mit Information gehandelt werden. Die gliedernden Erschliessungselemente wie Brücken, Auf-
züge und Treppen machen das Atrium räumlich erfahr-
bar und laden ein, auch einmal zu Fuss die Stockwerke zu wechseln. Dabei trifft man Kollegen, spart Strom und reduziert das Herzinfarktrisiko. Eine feine Abstimmung von natürlicher und künstlicher Belichtung, gedämpfter Akustik, ganzjährig angenehmem Klima mit Temperatu-
ren zwischen 18° und 27°C, hellen Materialien, einer filigranen Innenfassade aus Holz und Glas und gross-
zügiger Bepflanzung lässt eine wohnliche und belebte Atmosphäre auf der Piazza entstehen.

Die Funktionsbereiche

Im Gartengeschoss sind die Gemeinschaftsfunktionen wie Kasino, Küche, Seminar, und Fitness um die Pi-
azza herum angeordnet. In allen anderen Ebenen wer-
den Büro- und Besprechungsflächen angeboten. Offene Bereiche, die sogenannten Meeting Points, unterteilen die Büroflächen, stellen die Verbindung zum Atrium her und lassen informelle Treffpunkte entstehen.Eine zwei-
hüftige Anordnung der Büros minimiert die Verkehrs-
flächen und lässt einen inneren und äusseren Ring ent-
stehen, die mit Tageslicht belichtet werden. Die Nord-
Orientierungen von zwei Aussenfassaden ist gerade für Computerarbeitsplätze beliebt. Die Grundrisse sind mit ihren Versorgungsflächen, den Leitungsführungen und den Erschliessungselementen so aufgebaut, dass je-
des Geschoss in zwei getrennte Mietbereiche aufge-
teilt werden kann und im Gebäude bis zu acht ver-
schiedene Mietparteien Platz finden könnten. Vom kleinen Zellenbüro bis hin zum Grossraumbüro werden ganz unterschiedliche Raumtypen angeboten. Das Gebäude wurde dadurch sehr flexibel auf die unter-
schiedlichsten Nutzungsvarianten vorbereitet.

Be- & Entlüften

Den grössten Platzbedarf in der Haustechnik nimmt die Be- & Entlüftungsanlage ein. In der Tiefgarage sitzt die vom Erdreichwärmetauscher versorgte Zuluftzentrale. Über ein Gangsystem im Untergeschoss wird die Zuluft mittels 4 Schnorcheln in das Atrium geblasen. Das Atrium selbst übernimmt dabei die Funktion eines riesi-

gen Zuluftkanals, von dem sich jedes Büro seine benö-
tigte Frischluft ansaugt. Die Verteilung findet entweder direkt über die Innenfassade oder unsichtbar durch ein-
betonierte Zuluftkanäle in den Geschossdecken statt. Das Zuluftkanalsystem bleibt vollständig unsichtbar. Die Zuluft hat ausschliesslich die Aufgabe, hygienische Verhältnisse herzustellen und wird nicht zusätzlich mit Heiz- oder Kühlfunktion belastet. Langsam und stetig rieselt die temperierte Frischluft in die Büros. Weder Zugerscheinungen noch Geräusche sind wahrzuneh-
men. Aus jedem Raum wird gleichzeitig die verbrauch-
te Luft abgesaugt und über den Flurzonen nach oben in die Dachzentrale geleitet. Dort wird die Abluft ausge-
blasen, nachdem ihr ein Wärmetauscher 80 % ihrer Energie entzogen hat. In jedem Raum können die Aussenfenster zu jeder Zeit geöffnet werden, ohne dass dadurch die Lüftungsanlage gestört wird. 

Heizen & Kühlen

Ein Bürogebäude im Passivhaus-Standard hat wenig Beheizungsprobleme, da die inneren Wärmegewinne von Geräten, Beleuchtung und Personen genügend Abwärme erzeugen. Diese Wärme wird aber auch im Sommer erzeugt. Selbst bei 100 % Verschattung wür-
de sich dann das Gebäude von innen langsam aufhei-
zen. Der technisch anspruchsvollere Lastfall ist die Überhitzung im Sommer, die mit einer abgestimmten Kombination von sparsamen Massnahmen effizient geregelt wird.
Das Herzstück der Klimaregelung ist eine Betonkern-
temperierung. In den Decken sind ähnlich einer Fuss-


Heizen & Kühlen

bodenheizung Wasserschlangen einbetoniert, welche die  Betondecken mit ihrer grossen Trägheit auf der ge-wünschten Temperatur halten. Da alle Untersichten dieser Decken frei gehalten werden, entsteht eine riesi-
ge Strahlungsfläche, die im Winter wärmt und im Som-
mer kühlt. Nur mit dem entscheidenden Unterschied zu bisherigen Kühldecken, dass die Vorlauftemperatur nur minimal von der Raumtemperatur abweicht. Sie bewegt sich zwischen 18°C im Sommer und 25°C im Winter. Dieser geringe Unterschied ist nur möglich, weil es sich um ein sehr sparsames Gebäude handelt und die benötigten Energiemengen sehr gering sind. Direkte Nutzniesser sind die Bewohner, denn sie spüren weder Strahlungswärme noch Strahlungskälte. Die Komfort-
zone von 20° bis 26°C wird nur in den seltensten Fällen verlassen. Konventionelle Heizkörper gibt es nicht.
Dieses System wird mit einer natürlichen Lüftung in der Sommernacht ergänzt. Der Kamineffekt des hohen Atriums ist ein wirkungsvoller Antrieb für den nächt-
lichen Luftstrom durch das Atium.
Der Wärmebedarf wird über einen Fernwärmeanschluss gedeckt und der Kältebedarf wird durch 40 Erdsonden bedient, die mit je 100 m Tiefe rings um das Gebäude senkrecht nach unten führen. Mit Hilfe eines Wasser-
kreislaufes wird das Erdreich als riesiger saisonaler Wärme bzw. Kältespeicher im Jahresrythmus be- und entladen.


Das Tageslichtkonzept

Für einen geringen Stromverbrauch wird bei allen Haus-
technikkomponenten, Beleuchtung, Flachbildschirmen, Küche und sonstiger elektrischer Ausstattung darauf geachtet, dass sparsame Geräte eingesetzt werden oder noch besser ein Strombedarf erst gar nicht entsteht. 
Durch ein konsequentes Stromsparkonzept lässt sich der Strombedarf einer Software-Firma um 50 % redu-
zieren. Das konsequente Tageslichtkonzept hilft Strom und Wärme sparen und reduziert deutlich den Anteil an künstlicher Beleuchtung. Noch wichtiger als das Strom sparen ist das grössere Wohlbefinden von Menschen bei natürlicher Belichtung. Im Atrium sorgt ein grosses Glasdach für genügend Tageslicht bis hinunter in die untenliegenden Räume. Auch bei geschlossener Son-
nenschutzfolie in den Isoliergläsern kommt noch aus-
reichend Tageslicht in das Atrium.
Lichtlenkende Sonnenschutzjalousien aussen vor den Büros können die Fenster auf Höhe der Arbeitsplätze verschatten und gleichzeitig im Oberlichtbereich das Sonnenlicht gegen die Decke lenken. Damit lässt sich Beleuchtung einsparen und gleichzeitig Blendung an den Bildschirmen vermeiden. Die Nutzer können den Sonnen- und Blendschutz in Ihren Räumen individuell anpassen.
 

 


Die Umweltentlastung

Der Passivhaus-Standard reduziert den Energie-
verbrauch für Heizen, Kühlen und Hilfsstrom um 75 %. Das bedeutet gegenüber einem konventionellen Büro-
gebäude jährlich eine Einsparung von 175.000 kg CO2. Die jährlichen Verbrauchskosten für Heizen und Kühlen sind mit ca. 6700 kWh veranschlagt, das entspricht 16 kWh/Mitarbeiter bzw 1 kWh/m².
Das Flachdach wird mit einer Fotovoltaik-Folie abge-
dichtet. Die Dachbahnen sind mit Solarzellen ver-
schweisst und werden wie eine konventionelle Dach-
folie verlegt. Die nicht ganz optimale Orientierung der Zellen wird mit der einfachen Montage und dem Wegfall von schweren Unterkonstruktionen mehr als kompen-
siert. Die Anlage hat eine Leistung von 15 kW und spart damit jährlich über 6800 kg CO2-Emission ein.

Die Zertifizierung

Zuschüsse der Stadt Ulm, des Wirtschaftsministeri-
ums Baden-Württemberg und der Deutschen Bundes-
stiftung Umwelt fördern dieses Pilotprojekt. Das Bund-
esministerium für Wirtschaft und Technologie fördert ein Monitoring Programm, welches die ersten 2 Jahre mit über 200 Messpunkten das Gebäude in seinen Funktionen genau analysiert. Das Gebäude wird durch das Passivhaus-Institut in Darmstadt zertifiziert.

Der zukünftige Baustandard

Da über ein Drittel der CO2 Emission in der westlichen Welt durch Beheizen und Kühlen von Gebäuden er-
zeugt wird, ist der Passivhaus-Standard die zur Zeit effizienteste Lösung, um diesen Wert bei Gebäuden um bis zu 80 % zu reduzieren. Hätte jedes Gebäude auf der Welt diese Effizienzklasse, so hätten wir unsere aktuellen Klimaziele bereits deutlich übererfüllt.
In einem Passivhaus herrscht das derzeit technisch bestmögliche Klima. Weder Klimatisierung mit Umluft-
betrieb, noch störende Geräusche oder Zuglufterschei-
nungen, keine kalten Oberflächen oder staubaufwirbeln-
de Heizkörper, keine zu niedrige Luftfeuchtigkeit, kein Kondensat oder gar Schimmelpilz, weder schlechte Luft mit unhygienischer Konzentration an CO2, Geruchsstoffen und Schwebeteilchen in der Luft noch zu hohe oder zu niedrige Lufttemperaturen beeinträch-
tigen den Wohnkomfort im Passivhaus.
1991 wurde das erste Passivhaus in Europa gebaut, der Zuwachs ist seitdem jährlich über 100 %. Bereits heute ist dieser Standard die Voraussetzung für staat-
liche Fördergelder. Es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann er vom europäischen Gesetzgeber allgemein gefordert werden wird.


Entwurf & Planung

oehler + arch kom   architekten   ingenieure 
Stefan Oehler, Barbara Faigle, Heike Wiest 
Mitarbeiter: Imke Gressel, Amarante Barambio, Doris Bauch


Das Planungsteam

Projektsteuerung: Michael Anders, Darmstadt 
Haustechnik & Bauphysik:
ebök, Ing. Büro für Energieberatung, Tübingen 
Ausschreibung, Bauleitung:
Freie Planungsgruppe 7, Architekten, Stuttgart 
Vermessung:
Hr. Haubrich, Vermessungsamt, Stadt Ulm 
Gartengestaltung:
Hornstein, Landschaftsarch. BDLA SRL, Überlingen 
Brandschutz: Hosser, Hass & Partner, Berlin 
Großküchentechnik: 
Ing.Büro Hussmann, Poppenricht 
Tragwerksplanung:
Ing.Büro Lachenmann, Vaihingen/Enz 
Projektvorbereitung, Wettbewerb:
Robert Sengotta, Entire Software AG 
wissenschaftlicheUntersuchung:
Steinbeis-Transferzentrum Energietechnik 
Baugrund Untersuchung
Institut Dr. Ing. G. Ulrich, Günzburg 
Elektrotechnik: Ing. Büro Volz, Ehningen